Was wirklich zÀhlt und wie man es macht

„Die wichtigste Tugend der Zukunft ist die KooperationsfĂ€higkeit!“ Um diese zu erlangen,  benötigen wir ein anderes Menschenbild, eines, das nicht auf Wettbewerb aufbaut, erklĂ€rte Clemens Sedmak in seinem Festvortrag zum 9. Tullner Zukunftsforum mit dem Titel: „Was wirklich, wirklich zĂ€hlt“.

Jetzt, so meinte er, sei es höchste Zeit, um an der kĂŒnftigen Zivilgesellschaft zu bauen.

Unsere Tullner Initiative Stadt des Miteinanders sei dafĂŒr der richtige Weg. Tulln sei dafĂŒr eine „Lernstadt“, ein Vorbild. Unsere Erfahrung und unser Wissen „soll in die ganze Welt hinaus getragen werden!”

Was fĂŒr eine Anerkennung von einem der renommiertesten Philosophen und Theologen deutscher Sprache!

Der Rat von Hans Blix

WĂ€hrend des Vortrages kreisen meine Gedanken um die Besonderheiten der Arbeitsweise der Stadt des Miteinanders. WĂ€hrend mein Geist noch sucht, ist Clemens Sedmak schon bei der nĂ€chsten Geschichte. Es geht um Hans Blix, dem  ehemaligem Außenminister Schwedens und Ex-Direktor der IAEO, der Internationalen Atomenergiekommission. Als Blix kurz vor seinem Tod gefragt wurde, was denn die wichtigste Lehre seines bewegten Lebens gewesen sei, war seine Antwort: „DemĂŒtige andere nicht!“

Der hohe Preis der DemĂŒtigung

DemĂŒtigung hat immer einen hohen Preis. Kaum etwas ist in der Lage, den Willen zur Kooperation, das Engagement und auch LoyalitĂ€t nachhaltiger zu ruinieren, als eine DemĂŒtigung. Doch leider scheint dieses Wissen etwas in Vergessenheit geraten zu sein, beispielsweise in der Arbeitswelt der letzten Jahrzehnte. Zu einer DemĂŒtigung kann es schneller kommen, als man glaubt. Andere nicht ernst nehmen, sie unterbrechen oder gar nicht zu Wort kommen lassen – das kann schon genĂŒgen.

Aber woran, so frage ich mich, sollte man sich halten?

Des Rabbi Reise durch Hölle und Himmel

Da fĂ€llt mir eine chassidische Geschichte ein. Sie erzĂ€hlt von einem Rabbi, den – als er gestorben war – der Prophet Eliah im Jenseits herumfĂŒhrte, um ihm die nicht sichtbare Welt zu zeigen. Hier diese kleine Geschichte:

Eliah geleitet den Rabbi in einen großen Raum. In der Mitte des Raumes steht ein großer Kessel, in dem ein köstliches Gericht köchelt. Der wunderbare Geruch nimmt dem Rabbi fast den Verstand, denn es ist ein himmlisches Gericht.

Bald erkennt er, dass um den Topf herum Gestalten sitzen, die alle abgemagert, krank und blass aussehen. Jeder hĂ€lt in der Hand einen langen Löffel, mit dem er versucht, etwas aus dem Topf zu holen. Aber die Gestalten können den Löffel nicht zum Mund fĂŒhren. Denn er ist zu lang. So sind alle Versuche zu essen zum Scheitern verurteilt. Diese Menschen hungern vor einem vollen Topf.

„Welch seltsamer Raum war das!“ fragt der Rabbi den Propheten, als sie wieder gehen. „Das war die Hölle“, antwortet ihm Eliah.

Danach betreten sie einen zweiten Raum. Er sieht genauso aus. Wieder steht in der Mitte ein Topf, von dem derselbe himmlische Duft ausgeht. Wieder sitzen ringsum Gestalten. Auch sie haben die gleichen langen Löffel, die man nicht zum Munde fĂŒhren kann. Aber etwas ist anders: diese Leute sehen gesund aus, gut genĂ€hrt und glĂŒcklich.

„Was ist hier los?“ fragt sich der Rabbi. Da sieht er genauer hin und erkennt, dass diese Menschen sich den Löffel gegenseitig zum Munde fĂŒhren und sich so gegenseitig zu essen geben.

Da muss der Rabbi nicht mehr fragen, wo er ist
.

Soweit diese Geschichte.

StÀrken stÀrken!

Das dahinter liegende Prinzip? Es ist segensreich, die StĂ€rken der anderen zu stĂ€rken! Nichts ist so förderlich fĂŒr Entwicklung und StĂ€rkung eines Klimas des Miteinanders in einer Gemeinschaft, als eine auf diese Weise ‚nĂ€hrende‘ Haltung. Andere anzuerkennen, ihre WĂŒrde zu achten und sie zu bestĂ€tigen, schafft Gemeinschaft. Wer sich so verhĂ€lt, erzeugt außerdem eine Resonanz, die zu ihm selbst zurĂŒckkommt und ihm letztlich gut tut und stĂ€rkt.

So ist Clemens Sedmak Recht zu geben, wenn er in seinem Vortrag darauf hinwies, dass ein sozialer Prozess nicht loszulösen sei vom geltenden Menschenbild. Es braucht ein Menschenbild, eine Grundhaltung, die Augenhöhe und wechselseitige UnterstĂŒtzung erlaubt. Diese Haltung ist jener Ort, an dem der Weg zu gelebtem Miteinander, zu einer Stadt des Miteinanders, beginnt.