Lust und Frust am neuen Nibelungenplatz

Das erste Mai Wochenende lockte viele Menschen nach Tulln. Die Sonne zeigte sich noch nicht ganz so stark, die Luft war dennoch mild und die Aktivitäten zahlreich. Die Einen besuchten die Oldtimermesse, die Anderen verbrachten gemütliche Stunden an der Donaulände. So packte auch ich meine Nichte ein, um einen gemeinsamen Nachmittag zu verbringen.

Ganz oben auf der Liste von Dingen, die 3jährige gerne in Tulln erleben, steht unangefochten der Tulli Zug! So schnappten wir uns einen Platz in der ersten Fahrt. Voll gepackt ging es *tüt* *tüt* über den Hauptplatz Richtung Rathausplatz. Wir genossen den frischen Wind um die Nase und meine Nichte merkte an, dass danach Eis essen dran wäre. Die Strecke führte weiter zur Donaulände, wo das Thema Nummer eins unserer Mitreisenden der neue Nibelungenplatz war. Auch später, nachdem wir das obligatorische Eis besorgt hatten und zurück Richtung Donaulände über den bereits benutzbaren Teil des Platzes (er wird erst Anfang Juni fertiggestellt) schlenderten, konnte ich immer wieder Menschen beobachten, die sich über den Platz unterhielten. Zugegeben, ich hatte ein gewisses Interesse an den Perspektiven und lauschte den Inhalten.

Die drei Gespräche, die neben mir stattfanden, hatten mehr oder weniger denselben Inhalt:

  • Oarg, dass so viele Parkplätze weggekommen sind!
  • Wo sollen jetzt die Angestellten vom AMS und von der Gemeinde, etc. parken?
  • Was, wenn wir eine Taufe haben und ich nicht zufahren kann (zum Ausladen)?
  • Tulln ist eh schon so schön, da hätte es doch nicht zusätzlich diesen Platz gebraucht!
  • Grün? Wo ist der Platz denn grün?
  • Und das alles mit unseren Steuergeldern! Nein, die armen Tullner(*innen) (das Gendern hab ich ergänzt), die zahlen das alles!
  • Was das alles kostet!
  • So a Bledsinn!

Und so ähnliche weitere Kommentare.

Durch meinen Job bin ich geschult mich selbst und meine Emotionen zu beobachten bzw. zu reflektieren. Diese waren beim Hören der Dialoge über den Frust, den der neue Nibelungenplatz auslöste, recht hoch. Und der Frust der anderen Menschen, erzeugte bei mir auch Frust. Ich konnte Ärger, Unverständnis & Co wahrnehmen. Es wäre wohl nicht nur mir so gegangen in dieser Situation. Viele denken, wie die Menschen, denen ich zugehört habe, viele denken ganz anders.

Lust und Frust unter die Lupe genommen

Ich traue mir zu behaupten, dass in den aller meisten Fällen ein Gespräch genau da endet, wie ich es oben beschrieben habe: entweder werden Argumente dafür oder dagegen präsentiert. Haben Menschen unterschiedliche Meinungen prallen diese Positionen aneinander. Leben sie gewissermaßen in derselben „Bubble“ bestätigen sie sich gegenseitig ihre Sichtweisen. Nur selten kommt es zu einer wirklichen Begegnung und Auseinandersetzung mit einem Thema.

Und genau deswegen, möchte ich hier das Experiment wagen und Lust und Frust einmal genauer unter die Lupe nehmen. Worum geht es hier eigentlich? Ich habe unterschiedlichen Menschen genauer zugehört.

Menschen, die sich schon sehr auf den neuen Nibelungenplatz freuen und damit zur „Lust“ Fraktion gehören, sehen folgende Punkte:

  • Den ökologischen / klimatechnischen Mehrwert, den das Mehr an Grün (im Gegensatz zu einem komplett verbauten Parkplatz) bietet: die Entsiegelung, die 94 % versickerungsoffenen Flächen und damit die Möglichkeit schwammartig Feuchtigkeit zu speichern. Das führt dazu, dass große Bäume gepflanzt werden können, sowie andere Grünpflanzen, die Temperaturen regulieren können und einem Hitze-Hot-Spot in der Stadt entgegenwirken können.
  • Den gesellschaftlichen Mehrwert: sich treffen, zusammensitzen, gemütlich Zeit verbringen. Angenehmes Klima durch viele Pflanzen und Schatten (der mit den Jahren immer mehr wird, da Pflanzen bekanntlich wachsen). Snacks und Getränke vom Kiosk, Outdoor Spiele, die ausgeliehen werden können, Nebelspiel, das nicht nur für Kinder eine angenehme Erfrischung darstellt, Fitnessparcours, Plauderecken und mehr.
  • Der Platz ist auch so konzipiert worden, dass er eine Verbindung zwischen Donaulände und Innenstadt darstellt: ein angenehmes Durchflanieren, sich aufhalten, schlendern, etc. von Donaulände bis Innenstadt.
  • Parkplätze wurden dennoch erhalten: auch der neue Nibelungenplatz wird über 60 Parkplätze (allerdings mit versickerungsoffener Bauweise und Gras) beherbergen. Zufahrten für Veranstaltungen sind möglich.
  • Technisch ist der Platz so ausgestattet, dass Zeltfeste und andere gesellschaftliche Feierlichkeiten sogar noch besser umgesetzt werden können.
  • An der Stelle ließen sich noch mehr erfreuliche Dinge aufzählen, die definitiv Lust auf den neuen Platz machen. Doch woher entsteht dieses positive Gefühl?

Menschen, die mit dem Platz etwas Positives verbinden, die haben den Gedanken, dass sie dort eine schöne Zeit verbringen werden und dass damit ein guter Schritt Richtung zukunftsfähiger Stadt gegangen wurde. Immerhin ist es in Österreich alles andere als populär die Orte für Autos zu beschränken. Der Gedanke entsteht, weil viele persönliche Bedürfnisse erfüllt werden: Erholung, Kontakt, Bewegung, Leichtigkeit, Spiel, Feiern, Ästhetik, einen Beitrag (zur Klimafitness) leisten, Verbindung, etc.

Es geht im Endeffekt um Bedürfnisse, die nicht immer nur unsere persönlichen Bedürfnisse sein müssen. Viele Menschen können sehr gut auch in Gemeinbedürfnissen denken: was wird für uns alle in Zukunft relevant sein, um gelungen miteinander in einer Stadt zu leben? Was wird es für ein lebenswertes Miteinander brauchen?

Hörtipp dazu: Helga Kromp-Kolb ist Österreichs Klimapionierin. In ihrem zweiten Buch „Für Pessimismus ist es zu spät. Wir sind Teil der Lösung“ liefert sie wichtige Denkanstöße und zeichnet ein umfassendes Bild der Lage.
https://oe1.orf.at/programm/20240505/756902/Helga-Kromp-Kolb-Wir-sind-Teil-der-Loesung

Um ein gegenseitiges Verständnis zu fördern, möchte ich hier auch die Bedürfnisse der Frust-Fraktion unter die Lupe nehmen:

Menschen, die viel Frust und Unverständnis dazu äußern, ist es nicht gelungen Mehrwert zu erkennen oder Möglichkeiten eigene Bedürfnisse zu erfüllen. Die Perspektive ist stark auf einen Mangel und auf Nachteile gerichtet.

Als Hauptargument werden meist fehlende Parkplätze genannt. Das Auto an sich und damit auch Parkplätze stehen für sehr zentrale Bedürfnisse von Menschen: Autonomie, Freiheit oder auch Selbstbestimmung. Diese Bedürfnisse oder auch Werte werden als verletzt gesehen. (Anm.: obwohl es immer noch über 60 Parkplätze zukünftig gibt und die Möglichkeit zur Zufahrt / Ausladen gegeben ist und auch Lösungen für Dauerparker gefunden wurden).

Wenn gesagt wird „Tulln ist doch eh schon so schön, was braucht es jetzt noch diesen Platz.“, dann sehen diese Menschen vielleicht andere Themen als Priorität. Vielleicht ist Ihnen auch nicht bewusst, dass es nicht nur um die Ästhetik, sondern auch um den klimatechnischen Nutzen geht (der im Endeffekt für uns alle eine angenehmere Zukunft bereitet). Vielleicht fehlt ihnen dazu Transparenz und Klarheit? Ebenfalls wichtige Bedürfnisse im Zusammenleben.

Diese unterschiedlichen Bedürfnisse und Sichtweisen scheinen schwer miteinander vereinbar zu sein.

Wie schaffen wir ein gelungenes Miteinander zwischen Lust und Frust?

Zugegeben es ist keine leichte Aufgabe. Miteinander bedeutet auch zu akzeptieren, dass wir alle unterschiedlichen Fokus haben und alle eine andere Sichtweise auf Dinge. Wir können versuchen aufeinander zuzugehen auch wenn wir so unterschiedlich sind und die gemeinsamen Dinge in den Vordergrund zu rücken: wir leben gerne in Tulln und sind dankbar über viel Schönes und Gutes. Wir müssen uns nicht gegenseitig von etwas überzeugen oder zwingen es zu glauben.

Wir können auch die Zeit nützen. Es gibt Menschen, die können sich unfertige Dinge schon gut vorstellen wie sie einmal sein werden und andere Menschen brauchen Zeit und das konkrete Erleben, um es dann erst zu erfahren wie es ist. Sprich viele werden erst, wenn der Platz fertig ist und sie konkret sehen wie alles funktioniert von Zweifeln und Kritik abweichen können.

Zweifel und Kritik sind auch vollkommen legitim. Doch alle, die eher zur Frust-Fraktion gehören und das jetzt lesen (erstens danke, dass Sie so weit gelesen haben!) und zweitens: vielleicht ist es einen Versuch wert auch einmal die positiven Dinge versuchen zu sehen. Jedes neue Projekt hat seine Widerstände.

Ja, es mag unbequem sein, dass statt Parkplatz jetzt anderweitig nutzbare Fläche da ist, doch können wir nicht auch froh sein, dass Politik unpopuläre Entscheidungen zugunsten unser aller Zukunft trifft? Und dass neue ökologische Technologien aufgegriffen werden, um unsere Lebensqualität zu erhalten?

Ich jedenfalls freue mich schon sehr auf den neuen Platz und würde mir sehr wünschen, dass viele andere die guten Seiten dieser Veränderung wahrnehmen können. Der gemeinsame Tag am Wochenende mit meiner Nichte ist übrigens sehr erfolgreich zu Ende gegangen: mit Eis verschmierten Mund, Loch in der Hose und Dreck auf den Händen! Denn das Leben in Tulln bietet ganz schön viel – auch für eine 3jährige und ihre unternehmenslustige Tante!

Bist du anderer Meinung? Hätte ich noch eine Perspektive berücksichtigen sollen? Fehlt etwas?
Lass uns darüber sprechen und schreib uns ein Kommentar oder eine E-Mail an hallo@stadtdesmiteinanders.at.

Autorin: Stefanie Jirgal / 7.5.2024