Politik und Religion sind üblicherweise Themen, die heikel sind, um darüber zu schreiben. Heute mache ich es trotzdem. Und vorneweg: niemand hat mich gebeten den folgenden Text zu verfassen, geschweige denn niemand hat mich beauftragt ihn zu schreiben. Diese Zeilen tippe ich, weil ich es wichtig finde, dass wir uns darüber Gedanken machen.
Am Freitag ging ich, wie rund 800 andere Bürger*innen, zum Neujahrstreffen ins Rathaus. Diese Veranstaltung ist ein wahres Jahresauftakts-Highlight – wahrscheinlich weil die Mischung zwischen Information und Geselligkeit stimmt. Immer erfährt man die Pläne der Gemeinderegierung für die nächsten Monate und immer hat man gute Gespräche an einem der unzähligen Stehtische.
Neujahrstreffen
Dabei fällt seit einigen Jahren auf, wie die politischen Vertreter*innen aller Fraktionen miteinander umgehen. Sie stehen nebeneinander auf der Bühne und berichten der Reihe nach über Herzensthemen und aus ihrer Sicht wichtige Angelegenheiten. Dies geschieht ohne Untergriffe oder sonstige Sticheleien unter einander. Das die eine oder andere Kritik fällt, kann passieren, doch das ist im Feld der Politik angebracht. Überhaupt darf nie vergessen werden, dass es auf unterschiedlichen Spielfeldern, unterschiedliche Regeln des Zusammenlebens oder Zusammenarbeitens gibt. Uneinigkeit, Kritik, Diskussion, aber öfters vielleicht auch Frustration oder das Durchsetzen einer Idee sind Handlungen, die am Schauplatz Gemeindepolitik nach ihren Regeln ablaufen. Miteinander hat auf den unterschiedlichen Feldern nun Mal unterschiedliche Ausprägungen.
Auch Konflikt ist Miteinander
Und um es ein weiteres Mal zu betonen: Ja und auch das Austragen von Konflikten ist Miteinander. Der Aspekt „Umgang mit Konflikt“ ist vielleicht sogar einer der wichtigsten Faktoren einer Miteinander-Qualität in einer Gruppe. Politische Konflikte zwischen Parteien sind dabei nicht mit Konflikten zwischen Bürger*innen zu verwechseln. Beides basiert auf anderen Normen und verläuft auf anderen Schauplätzen, mit anderen Spielregeln. Ein Miteinander auf politischem Boden fällt dabei vielleicht mal „härter“ aus, als es auf privatem Boden der Fall wäre. Es sprechen dabei ja auch Menschen in konkreten Rollen und Funktionen miteinander und nicht Privatpersonen. Leider fällt mir öfters auf, dass es bei diesem Thema zu Vermischungen kommt.
Zurück zum Neujahrstreffen vom Freitag.
Ich kenne es von anderen Kommunen auch anders. Da würde folgende Szene nur in kühnsten Träumen entstehen. Kurz vor Beginn der Neujahrstreffen Veranstaltung kommen die Gemeindevertreter*innen Richtung Bühne. Sie wirken konzentriert, aber dennoch freudig und entschlossen. Sie reichen sich die Hände, lächeln sich an und begrüßen sich auf persönlicher Ebene. Dabei fällt die Anmerkung zwischen Vertretern unterschiedlicher Parteien: „Euer Wahlplakat an der Straße XY hat’s umgeschmissen. Das ist mir heute Vormittag aufgefallen.“ Das Gegenüber bedankt sich für den Hinweis. Dann betreten sie alle die Bühne.
Später im Laufe des geselligen Abends bilden sich viele einzelne Gespräche in lockerer Runde. Das eine oder andere Gespräch dreht sich auch sehr offen rund um die anstehenden Wahlen. Dabei fällt auf, dass viele im politischen Feld angestrengt sind. Die Spannungen auf Bundesebene wirken sich bis auf die regionale Ebene aus, die Unzufriedenheit über diverse Entscheidungen im Bund ist groß. Belastungen sind spürbar.
Dennoch ist das Bemühen da, das eigene Engagement für Tulln hochzuhalten. Gerade im Rahmen der Gemeindepolitik bestimmt man das öffentliche Leben in der Stadt besonders mit und ist direkt für Bürger*innen spürbar. Wenn wir darüber nachdenken, vieles würde ohne aktive Gemeindepolitiker*innen nicht in Tulln existieren: Feste, Kinoprogramm, Vorträge, gesellige Zusammenkünfte, Bälle, Grätzlfeste, Kinderprogramm oder Kinderfaschingsbälle und so vieles mehr.
Ich fände es schade, wenn uns die allgemeine Politikverdrossenheit davon abhalten würde zur Wahl zu gehen oder unsere Frustration mit den Entwicklungen im Bund zu Protesthandlungen auf Gemeindeebene verführen würde. Das fände ich für alle politisch engagierten Mitbürger*innen nicht fair.
Vielleicht gelingt es uns mit Wohlwollen an die Sache zu gehen. Kritische Gespräche mit Kandidatinnen und Kandidaten führen, jedoch ohne persönlichen Angriff. Dialog und miteinander reden, Meinung bilden, wählen gehen.
Keine rosarote Brille, aber Hoffnungsschimmer
Keinesfalls möchte ich die rosarote Brille aufsetzen, wenn ich den Umgang miteinander der Tullner Parteien so positiv, wie oben beschrieben, skizziere. Da gibt es bestimmt die schlechten Tage, die schwierigen Themen, die Uneinigkeit, das Übergangen fühlen, etc. Man merkt dennoch: die Basis ist da. Die Basis, wo man sich von Mensch zu Mensch begegnet, sich gegenseitig Respekt zeigt und sich in der jeweiligen Kompetenz wahrnimmt. Das ist aus meiner Sicht etwas sehr grundlegendes und fast schon seltsam, dass ich es so hervorhebe, sollte es doch selbstverständlich sein (ist es nur leider nicht mehr).
Miteinander und Politik
Wie gehören nun diese beiden Themen zusammen? Die Politik stellt die Rahmenbedingungen, damit ein Miteinander in der Stadt gelingen kann. Da gibt es dann günstige und weniger günstige Dinge, die bereitgestellt werden oder möglich gemacht werden. Doch das Miteinander „gehört“ nicht der Politik alleine. Sie kann es nicht vollumfänglich bestimmen. Es kann auch nicht verordnet werden. Letztlich sind wir es alle, die mit unserer Haltung (und Entscheidung, wie möchte ich den anderen Menschen in der Stadt gegenübertreten) und unseren Handlungen den Alltag gestalten.
Insofern sollten wir alle unseren positiven Einfluss auf Zusammenhalt und Klima in der Stadt erkennen und wahrnehmen. Tag für Tag. Und wählen gehen, um Demokratie zu leben und aktiv mitzugestalten. Vielleicht denkst du an meine Worte, wenn du in den nächsten Tagen einer Kandidatin oder einem Kandidaten begegnest.
Autorin: Stefanie Jirgal