Jedes Bankerl ein Plauderbankerl

Ein windiger Tag in Almerimar, Andalusien, Spanien. Nach einem längeren Spaziergang die Strandpromenade entlang, kaufe ich im kleinen Shop um die Ecke ein Eis und suche eine schattige Bank. Es ist mittlerweile fast 19.00 Uhr abends und die Sonne scheint immer noch kräftig vom Himmel. Schön langsam füllen sich die Straßen wieder. Die Hitze des Tages wird etwas erträglicher, der Wind nimmt stetig ab und die Bewohner des kleinen Küstenortes flanieren die Straßen entlang.

Plötzlich steht eine ältere Dame im geblümten Kleid neben mir. Sie deutet auf die Bank und fragt mich, ob sie sich neben mich setzen darf. Ich antworte, „Si, si, claro!“ – mein Spanisch ist rudimentär, fürs Überleben, Einkaufen und Bestellen im Lokal reicht es. Darauf nimmt die rüstige Spaniern allerdings keine Rücksicht. Sie lacht und strahlt eine große Sympathie aus, dabei erzählt sie mir irgendwas – ich muss zugeben es nicht verstanden zu haben. Gerade überlege ich noch, ob ich die gute alte „Pinguin-Taktik“ aus dem Film „Madagaskar“ anwenden sollte – „Smile and wave!“ – als eine weitere Dame vor mir steht.

Plötzlich bin ich Gast am Plauderbankerl

Freudig begrüßt sie die Dame im Blümchenkleid und mich. Aufmerksam rutsche ich zur Seite und die Seniora im geblätterten Outfit nimmt Platz. Sofort beginnt ein Gespräch, an dem ich sogar teilnehmen kann! Es geht um die Temperaturen und den starken Wind, der heute weht. Diese Vokabel sind mir bekannt und ich kann ein „Si, si, mucho vento hoy!“ beisteuern. Sie fragen mich, wer ich bin und woher ich komme. Juhu, wieder Information, die ich sogar mit sehr guter Aussprache hinbekomme. Das motiviert beide mir von den aktuellen Aktionen im Mercadona (Lebensmittelgeschäft) und einem anderen Laden (so viel hab ich dann auch wieder nicht verstanden) zu berichten.

Kurze Zeit später bewegt sich eine dritte Seniora im schicken schwarzen Outfit und mit Rollator (mit unglaublicher Geschwindigkeit!) auf uns zu. Kurz vor der Bank bremst sie ab, aus Reflex stehe ich auf. Ich wollte ihr meinen Sitzplatz anbieten. Fast gleichzeitig schreien alle drei Frauen entsetzt, „No, no! Sentarse!“ (Setz dich hin). Eine hält mich sogar entschlossen am Oberarm fest. Die Dame im schicken Outfit grinst über beide Ohren und zeigt mir, dass ihr Rollator eine Sitzfunktion hat und sie somit neben uns auf dem Rollator Platz nehmen kann. Sie steigt ohne weiteren Kontext ins Gespräch ein und ich versuche Teile davon zu verstehen. Da geht es um Aktionen, die gerade im Supermarkt feilgeboten werden, wer vorbeigeht, wer mit wem verwandt ist, wer heute noch vorbeischauen wird und Dinge, wo mir leider die Vokabel gefehlt haben.

Auch Dame Nummer Drei interessiert wer ich bin, also darf ich meine perfekte spanische Vorstellung noch einmal aufsagen. Es interessiert sie auch welche Sprachen ich noch spreche. Leute gehen vorbei, bleiben stehen, steigen kurz ins Geplauder ein, setzen ihren Weg fort. Das wiederholt sich mehrere Male.

Was für ein schönes Gefühl des Miteinanders

Ich sitze mitten im Geschehen und kann mein Glück nicht fassen. In mir breitet sich ein warmes, herzliches Gefühl der Akzeptanz, der Zugehörigkeit und des Angenommen seins aus. Diese drei Frauen kannten mich nicht und haben mich ohne wenn und aber auf „ihrem“ abendlichen Plauderbankerl herzlich willkommen geheißen. Sie haben mir zu Verstehen gegeben, dass ich bleiben soll und sie sich auch freuen, dass ich heute mit dabei bin. Und all das, obwohl mein Spanisch gerade mal zum Vorstellen und übers Wetter reden reichte.

Mein Blick schweift ein wenig herum. Überall auf den Bankerln der Umgebung haben sich nun Menschen eingefunden. Sie sprechen aufgeregt miteinander. Und nicht nur auf den Bänken. Auch auf den Vorsprüngen der Geschäfte haben sich Menschentrauben gebildet. Einige Hunde liegen davor, teils entspannt, teils zum Spielen aufgelegt und teils recht erschöpft vom heißen Tag. Bereits in den letzten Tagen war das Miteinander hier in Spanien immer wieder sehr präsent für mich. Im Park neben dem Strand trifft Mann sich zum Boccia spielen (habe ausschließlich Männer beim Boccia gesehen), am Strand bilden sich Sitzrunden (wie am Foto ersichtlich) – meist Frauen, die entweder Bingo spielen oder Handwerken. Im Schatten des Parks nimmt eine weitere Plauderrunde Platz. (Alle haben ihre Klappsessel mitgebracht) Es wird miteinander gelacht und miteinander geschwiegen.

Almerimar, Spielerunde am Strand

Tienes marido?!

Zurück zur abendlichen Plauderrunde. Schön langsam wird es 20.00 Uhr, mein Magen knurrt und mein Mann wartet eigentlich schon seit einer halben Stunde auf mich. Ich tippe auf meinem Handy, um mir einen guten Abschiedssatz herauszusuchen. Leise übe ich kurz die richtige Aussprache, bevor ich ihn zum Besten gebe. Sinngemäß versuche ich zu sagen: „Vielen Dank für die Gesellschaft, ich gehe jetzt zu meinem Mann“.

Alle drei Damen schauen mich amüsiert / entsetzt / verwundet an und meinen „Tienes marido?!“ – dann brechen sie in schallendes Gelächter aus. Und der wartet auf mich? Dann soll er doch, meinen sie. Es folgen noch ein paar weitere Kommentare zum Thema „Ehemann“, die ich als eher ironisch deute. Wie aufs Stichwort schlendert ein älterer Herr auf uns zu. Die Damen rufen „Ah, esto es su marido!“, sie deuten auf die schicke Dame mit Rollator. Ich rutsche brav zur Seite, der Herr zückt seinen mitgebrachten Sitzpolster und setzt sich neben mich aufs Bankerl. (das jetzt mit vier Personen voll besetzt ist, unsere Ellenbogen berühren sich sogar)

Mein zweiter Versuch die illustre Rund zu verlassen, scheint gescheitert. Mich stört das nur wenig, denn um ehrlich zu sein, genieße ich dieses Erlebnis. Immer wieder versuche ich mich am Gespräch zu beteiligen und wünschte ich hätte besser Spanisch sprechen gelernt. Dann fasse ich mir ein drittes Mal ein Herz und erkläre, dass ich mich nun verabschiede und mich sehr gefreut habe, dass ich in ihrer Gesellschaft sein durfte.

Abschiedsfoto

Zum Abschied frage ich sie (auf Spanisch und mit Hilfe eines Übersetzungsprogramms), ob ich ein Erinnerungsfoto machen darf. Sie stimmen zu, sind dann allerdings sehr irritiert, dass sie sich selbst am Display sehen. Es wirkt auf mich als hätten sie noch nie im Leben ein Selfie gemacht. Wie erfrischend! Ihre Blicke könnten jedoch auch anders gedeutet werden… naja ich war dabei und schwöre sie waren alle bester Laune! 🙂

Der dritte Abschied klappt und wir alle verabschieden uns mit einem „bis zum nächsten Mal sehen“. Seufz, was für ein schönes Erlebnis.

Was heißt das für Tulln?

Sofort musste ich an die mehrfachen Gespräche und Diskussionen im Rahmen von Stadt des Miteinanders denken, rund um die Installation sogenannter Plauderbankerl. Was haben wir uns die Köpfe zerbrochen, wie man das Bankerl markieren könnte, welches Schild geeignet wäre und wie man das Thema kommuniziert.

Und dann komme ich hier nach Spanien und die Menschen hier machen es einfach. Sie verlassen abends ihre Wohnungen, um gemeinsam auf Bänken und Mauern zu sitzen. Dabei sind alle willkommen, die sich dazu gesellen und die vielleicht was Spannendes beitragen können. Noch einmal: Sie tun es einfach. Ohne Markierung. Ohne Schild. Ohne Werbung dafür.

Sie tun es, weil es Freude bereitet oder weil es glücklicher macht die Gesellschaft der Anderen im Ort zu suchen und weil man vor Ort die Neuigkeiten der Umgebung erfährt. Sie tun es, weil es zuhause zu einsam und allein wäre.

Ist es wirklich so einfach?

Kann uns so eine Plauderbankerl-Geschichte auch in Tulln gelingen?

  • Wärst du bereit dich zu einem Fremden, einer Fremden aufs Bankerl zu setzen?
  • Hättest du eine Idee, wie du ein Gespräch beginnst?
  • Welche Hürden gäbe es? Was würde dich abhalten?
  • Wie beginnt man so ein Ritual bzw. so eine Zusammenkunft?

Fragen über Fragen, vielleicht finden wir es gemeinsam heraus.

Mich hat das in Spanien Erlebte in jedem Fall stark beeindruckt, tief berührt und motiviert weiter darüber nachzudenken.

Was macht meine Geschichte mir dir?

Autorin: Stefanie Jirgal