Wie sage ich es den Nachbarn?

Unser Zusammenleben in der Stadt wird maßgeblich durch unsere Nachbarschaften geprägt. Wer lebt neben mir? Wie leben wir nebeneinander und leben wir eigentlich auch miteinander?

Wachsende Städte stehen oft vor dem Thema einer zunehmenden Anonymisierung, was für viele Menschen wiederum ein guter Grund ist, in größere Städte zu ziehen. Sie sehnen sich nach einem Leben „in Ruhe“ und ohne „Beobachtung“.

Andere wünschen sich persönlichen Anschluss und regelmäßigen Kontakt zu den Nachbarn. So ist es meist bei Jungfamilien der Fall, dass der Umzug in Gegenden erfolgt, wo es Menschen mit anderen Kindern im selben Alter gibt.

Wie immer im Leben gilt: wir sind alle anders!

In Tulln finden wir unterschiedliche Strukturen: Alt eingesessene Wohnsiedelungen, wo sich die Menschen 30 Jahre und länger kennen, Gebiete mit ausschließlich neuen Einfamilienhäusern, aber auch Wohnhäuser mit unzähligen Nachbarn. Wir werden auch ebenso viele unterschiedliche Nachbarschaftsverhältnisse vorfinden.

In diesem Artikel gehen wir der Frage nach „Wie sag ich es den Nachbarn, wenn mich etwas stört oder unangenehm ist?“.

Wie sieht Kommunikation aus, die eher zu gelungenen Nachbarschaften führen kann?

Im Artikel gebe ich dir Impulse, Anregungen und meine Gedanken dazu, die sehr gern zum Dialog anregen können. In unserem März Tulln zu Gast gibt es zum Beispiel Gelegenheit dazu in Austausch zu kommen!

Bessere und schlechtere Nachbarschaften

Wie eingangs geschrieben sind dir im Leben bestimmt schon Menschen begegnet, die total glücklich in ihrer Wohnung leben, links und rechts zwar wissen wer da wohnt, aber außer mal ein Hallo am Gang kein Kontakt zwischen den Nachbarn herrscht. Du wirst bestimmt auch Menschen kennen, die mit den Nachbarn ein freundschaftliches Verhältnis pflegen, auf der Gasse Feste abhalten (sofern dies möglich ist) oder sich gegenseitig aushelfen.

Können wir nun behaupten, dass die einen oder die anderen eine „bessere“ Nachbarschaft pflegen?

Jedes Mal, wenn wir im Leben eine Wertung (besser, schlechter, netter, blöder, etc.) vornehmen, dann ziehen wir einen inneren Vergleichswert heran. Oh Wunder, dieser Wert ist immer unser eigener! Wir können uns kaum dagegen wehren, dass wir zunächst einmal annehmen, dass das was für uns gut ist, auch für andere gut sein muss.

Leider ist es nicht so einfach.

Wir Menschen sind komplexe, soziale Wesen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Wahrnehmungen. Es lebt sich leichter, wenn wir versuchen das als Rahmenbedingung zu sehen.

Sprechen wir über Nachbarschaften, wo es Menschen miteinander gut geht, dann werde ich zukünftige den Begriff „gelungene Nachbarschaft“ verwenden. Für mich kann das Vieles bedeuten, vom losen Kontakt über das gegenseitige Katzensitten bis hin zur lebenslangen Freundschaft.

Was kann eine gelungene Nachbarschaft prägen?

(und auch das stelle ich gerne zur Diskussion :))

  • Respekt gegenüber den unterschiedlichen Bedürfnissen aller Nachbarn.
  • Klare und offene Kommunikation, ich teile konkret mit, was mir wichtig ist.
  • Achtung gegenüber eigenen und fremden Grenzen (damit mein ich nicht nur die Grundstücksgrenzen, sondern auch innere Grenzen)

All das ist leichter gesagt, als getan und dem stehen etliche Hürden im Weg, wie zum Beispiel:

Die eigenen Gedanken

Wir beobachten Situationen und Verhaltensweisen bei anderen und haben Gedanken dazu. Diese funktionieren wie ein Kinofilm in unserem Kopf und je nachdem, ob uns die Nachbarn sympathisch sind oder nicht, handelt es sich um eine Komödie, einen Abenteuerroman oder einen Krimi. Dabei vergessen wir, dass unser Hirn das Kinoprogramm bestimmt und nicht „die eine Wahrheit“ über eine Situation.

Wir schämen uns

Scham ist ein starkes, menschliches Gefühl, das Vieles in unserem Leben beeinflusst und sich mitunter als andere Gefühle tarnt oder diese auslöst.

Scham kann sich als Neid tarnen, wenn wir das neue, dicke Auto vor der Garage des Nachbarn sehen, es für uns ein Zeichen für Erfolg darstellt und wir innerlich glauben nie so erfolgreich sein zu können (und uns dafür schämen).

Scham kann uns dazu bringen jeden Samstag Vormittag im Vorgarten für Ordnung zu sorgen, anstatt gemütlich unser Buch zu lesen, weil wir glauben wir müssten einen ebenso perfekten Garten wie die Nachbarn haben. (Weil sonst reden die Leute über einen!)

Scham bringt uns dazu die Polizei zu rufen, weil die Nachbarskinder zu laut sind, weil wir den Lärm nicht ertragen. Zu groß ist der eigene Schmerz selbst keine (Enkel)kinder zu haben oder von diesen nie besucht zu werden. (und wir schämen uns als Eltern oder Großeltern vermeintlich versagt zu haben)

Das sind nur Beispiele und soll nicht heißen, dass es „immer so sein muss“.

Wir haben vielleicht nie gelernt mit Konflikten umzugehen

Glücklich ist, wer in einer Familie aufgewachsen ist, die offen mit Konflikten umgegangen ist. Wo du gesehen hast, dass nach dem Streit Versöhnung folgen kann. Wo du gefühlt hast, immer noch geliebt zu werden, obwohl deine Mitmenschen unglücklich über dein Verhalten waren. Meist ist es jedoch nicht so.

Vielleicht haben wir erlebt, dass nie über Probleme gesprochen wird, dass diese sprichwörtlich unter den Teppich gekehrt werden? Vielleicht gab es auch eskalierende Situationen, wo es laut wurde, Teller zu Bruch gerieten oder man sogar Gewalt erlebt hat? Diese Erlebnisse prägen das spätere Konfliktverhalten.

Die Schulen von heute bemühen sich den Umgang mit Konflikten zu vermitteln: Peer Mediation, Vermittlung sozialer Kompetenzen, etc. Ein wichtiger Schritt für uns alle!

Wie können wir nun offene Kommunikation mit den Nachbarn üben?

Der Kinofilm in unserem Kopf

Wir beobachten ein Ereignis (Situation, Verhalten) bei den Nachbarn und färben es unmittelbar im Kopf ein (das können wir nur mit viel Übung verhindern) als ok, gut, schlecht, störend, hilfreich, egal, etc. Problematisch wird es, wenn sich ein längerer Handlungsstrang entwickelt: „Jeden Tag macht die das, um uns zu ärgern!“, „Dem is ja fad im Schädl, darum mäht er um 7 Uhr in der Früh den Rasen!“, usw.

Damit geben wir dem Kinofilm im Kopf einen Titel und eine innere Handlung. Wir sind in der Hauptrolle und meist Opfer einer schlimmen Intrige oder einem Komplott.

Ab diesem Zeitpunkt gibt es mehrere Möglichkeiten:

Wir können dem Kino im Kopf weiterzusehen und merken wie sich unterschiedliche Gefühle entwickeln: Wut, Neid, Verzweiflung, Ärger, Enttäuschung, Hilflosigkeit und ähnliches. In der Flut dieser negativen Gefühle ist es schwierig wieder Boden unter den Füßen zu bekommen, Konflikteskalation ist nicht weit entfernt.

Oder wir machen uns auf, den Kinofilm im Kopf zu überprüfen. Vielleicht stimmt er (den Nachbarn ist wirklich wurscht was ihr Verhalten mit anderen macht) oder er stimmt nicht (die Nachbarn arbeiten im Schichtdienst und können immer nur in der Früh rasenmähen, haben nie bedacht, dass es andere stören könnte).

Druck erzeugt Gegendruck

Gehen wir davon aus, dass der Kinofilm im Kopf vielleicht nur bei uns auf der Leinwand so ausgestrahlt wird, dann wäre es wenig hilfreich, wenn wir als Reaktion auf ein störendes Verhalten den Nachbarn entweder die verbale Keule entgegenschwingen (voll beladen mit all unseren negativen Emotionen) oder ihnen die kalte Schulter (er/sie wird schon merken, dass das nicht passt!) zeigen.

Jegliche Form von Druck erzeugt Gegendruck. Kennst du vielleicht aus eigener Erfahrung: wirst du von jemand verbal attackiert, verschwendest du keine Sekunde daran „eine Lösung zu finden“, sondern gehst auf Gegenangriff (Verteidigung! Nieder mit dem Angreifer!) oder du entziehst dich der Situation (Flucht! Nicht mit mir!). 

Hilfreicher ist es eine klare Aussage zu tätigen, die eigenen Grenzen klar zu machen und eine Bitte für die Zukunft zu äußern.

Das schafft Möglichkeiten.

Möglich ist, dass den Nachbarn ein störendes/unangenehmes Verhalten gar nicht bewusst war. Möglich ist, dass den Nachbarn die Situation eigentlich eh furchtbar unangenehm ist, sie aber keine andere Möglichkeit im Moment sehen. Möglich ist, dass es ihnen wirklich egal ist, welche Bedürfnisse die Menschen links oder rechts von ihnen haben, dann weißt du zumindest woran zu bist und kannst andere Konsequenzen in Erwägung ziehen. Möglich ist, dass sie ihr Verhalten sofort ändern, weil ihnen gegenseitige Rücksichtnahme sehr wichtig ist. Und es gibt noch weitaus mehr Möglichkeiten.

Ein Kochrezept: „Wie sag ich es?“

Zum Abschluss möchte ich dir ein „Kochrezept“ mit auf den Weg geben, das hilfreich sein kann, wenn du störende/unangenehme Situationen oder Verhaltensweisen bei den Nachbarn beobachtest, dir ein Herz fasst und die Sache ansprechen möchtest.

Den eigenen Kinofilm im Kopf zu reflektieren, eine flexiblere, offenere Haltung gegenüber den Geschehnissen annehmen und die Möglichkeiten zu erkunden, braucht Mut!

Mit einer Strategie und ein wenig Vorbereitung fällt es leichter.

Was du dir vor einem Gespräch überlegen kannst:

Beispiel: Störender Lärm durch frühes Rasenmähen (7 Uhr) am Samstag Morgen (was in Tulln lt. Lärmverordnung gestattet wäre).

WAHRNEHMUNG

Du beschreibst deine äußere Wahrnehmung über Tatsachen, Ergebnisse, Zahlen, Daten, Fakten und Beobachtungen.

Ich sehe…. / Ich höre… / ich lese… / Ich bemerke… / Ich beobachte…

Beispiel: Ich höre, dass ihr jeden Samstag um 7 Uhr beginnt euren Rasen zu mähen.

WIRKUNG

Du sprichst als nächstes über die innere Wirkung, die die Wahrnehmung / Beobachtung bei dir auslöst, das sind Gefühle, Zweifel und Vermutungen.

Das bewirkt bei mir / ich fühle dabei / ich vermute / ich befürchte / ich habe den Eindruck

Beispiel: Das bewirkt bei mir jedes Mal Ärger, weil Samstag der einzige Tag ist, an dem ich ausschlafen kann und ich genau das Schlafzimmerfenster über eurem Garten habe.

WIRKLICH WICHTIG

Du überlegst im Vorfeld was dir dabei wirklich wichtig ist. Bedenke, dass du nicht über deine Nachbarn bestimmten kannst. Du kannst nicht einfach verlangen, dass sie nicht den Rasen mähen (Lärmverordnung Tulln), aber du könntest anstreben, dass sie zB einen anderen Zeitpunkt dafür wählen.

Denn mir ist dabei wirklich wichtig, dass…

Beispiel: Mir ist wirklich wichtig, dass wir als Nachbarn offen und ehrlich zueinander sind und auch Rücksicht aufeinander nehmen. Darum spreche ich es heute an.

WUNSCH

Welche Veränderung wünscht du dir? Welche Erwartung hast du? Wie möchtest du die Situation lenken?

Ich wünsche mir / Ich erwarte mir / Ich bitte dich / Ich möchte

Beispiel: Ich wünsche mir, dass ihr entweder erst ab 9 Uhr startet oder dass wir ein Gespräch darüber führen, wie es besser für uns beide passen könnte. Ich gehe davon aus, dass ihr auch eure Gründe habt, warum ihr so früh mit der Gartenarbeit startet?

Lass uns gerne über dieses und andere Themen über Nachbarschaft im März bei Tulln zu Gast plaudern und diskutieren!

Autorin: DI (FH) Stefanie Jirgal