Von der Macht der Prinzipien

„Wir finden immer einen Weg. Und wenn wir einmal keinen finden, dann bauen wir eben einen!“ 

Die Kraft dieser Worte war dem Karthager Hannibal vollkommen bewusst, als er sich anschickte, mit Heer und Elefanten die winterlichen Alpen zu überqueren. Er sprach von WIR. Denn nur gemeinsam konnte der Weg gefunden werden. Alle beteiligten sich und jeder konnte später stolz darauf sein, dabei gewesen zu sein. Gemeinsam gelang ihnen die „Mission Impossible“. So geschehen im Jahr 218 vor unserer Zeitrechnung.

Wir sind verliebt in Ziele

Energetisierende Prinzipien, wie der Spruch Hannibals, sind heute selten zu finden. Heute wird mehr mit Zielen gearbeitet. Ein Ziel könnte es beispielsweise sein, die gegnerische Fußballmannschaft fünf zu eins zu schlagen. Oder als Unternehmen den Umsatz um zehn Prozent steigert. Oder dass das Kinderzimmer in zehn Minuten aufgeräumt ist.

Hätte Hannibal so gedacht, hätte er die Alpenüberquerung einfach befohlen.

Ziele machen Menschen zu Objekten

Ziele haben große Vorteile. Sie sind leicht zu kommunizieren. Man kennt sich schnell aus. Außerdem sind sie einfach zu kontrollieren. Deshalb leben wir in einer ziel-verliebten Kultur. Ob Leistung, Wohlstand oder Bildung, fast alles wird einem Ziel, und damit einem Zweck, unterworfen.

Aber Ziele haben auch Nachteile. Sie verengen den Fokus allen Denkens auf eine Sache. An den Menschen, die dieses Ziel erreichen sollen, geht der Blick nur allzu oft vorbei. Mehr noch: sie machen Menschen zu Objekten von Wünschen!

Was hat das mit mir zu tun?

Die Angesprochenen können daher nur selten die Frage beantworten: „Warum soll ich da mittun?“ Damit die Mama zufrieden ist? Damit Wettbewerbsfähigkeit und Börsenkurs des Unternehmens steigen? Auch die Fußballmannschaft wird sich schwer damit tun, sich emotional mit einem genauen Spielergebnis zu verbinden. Denn auf vorgegebene Ziele folgt unweigerlich die Frage: „Was hat das denn mit mir zu tun?“

Mit Zielen ist es schwer Begeisterung zu entfachen. Je enger sie gefasst sind, umso heikler wird es. Und ohne die „Gießkanne der Begeisterung“ wird es schwierig, den eigenen Hintern vom Boden hoch zu bekommen.

Prinzipien öffnen geistige Räume

Ganz anders funktionieren Prinzipien.

Prinzipien hingegen öffnen Räume. Wenn sie gut sind, verleihen sie Flügel. Sie ermöglichen Identität, Selbstvertrauen und Stolz auf die eigenen Leistung. Sie geben zwar eine Richtung vor, aber vor allem laden sie ein zur Mitgestaltung. Sie ermöglichen, etwas Größeres mit zu gestalten.

Wo wir sind, ist vorne!

Da gibt es beispielsweise eine Abteilung bei einem traditionellen Stromanbieter. Sie galt als sogenannte „Mistkistl-Abteilung“. Wer dorthin versetzt wurde, für den war die Karriere zu Ende. Am schlimmsten war das für Lehrlinge, denn sie hatten von vorne herein keine Hoffnung auf eine Zukunft.

Das musste sich ändern! Also entwickelte der Abteilungsleiter ein Prinzip, das den Fokus aller veränderte. Das packte er gleich in den Slogan: „Wo wir sind, ist vorne!“

Zunächst löste das Kopfschütteln in diesem ziele-verliebten Unternehmen aus. Aber er entwickelte die Haltung des Pioniers und verkörperte persönlich das Prinzip. Bald änderte sich die Haltung in der Abteilung. Kraft und Dynamik entstanden und nicht zuletzt Freude bei der Arbeit. Jeder noch so kleine Erfolg verstärkte diese Kraft. Bald waren Stolz und Selbstsicherheit das Kennzeichen dieser Abteilung.

Prinzipien sind sexy

Entscheidend war, dass das Prinzip als Einladung zu persönlichem Wachstum, Stolz und  Freude aufgefasst werden konnte. Der Abteilungsleiter verlangte nichts, aber er verkörperte den Stolz dessen, der den Aufbruch wagt. Das riss seine Leute mit. Unnötig zu erwähnen, dass diese Abteilung außerordentlich erfolgreich wurde und sich zu einer tragenden Säule des Unternehmens entwickelte.

Prinzipien entwickeln Haltungen. Sie erlauben eigene Kreativität und fördern diese. Sie erlauben es allen Beteiligten, eine persönliche Note zu entwickeln. Sie fordern geradezu dazu auf. Prinzipien sind sexy, weil sie es ermöglichen, persönlichen Sinn zu empfinden und zu entwickeln.

Der Weg entsteht beim Gehen

Das MITEINANDER in der Stadt des Miteinanders ist ein Prinzip, kein Ziel. Miteinander muss gelebt werden und jeder kann sich beteiligen. Wie dieses Klima des Miteinanders in der Stadt dann konkret aussieht, ist das Ergebnis der Beiträge von allen. Es ist vor allem der Weg, der das Besondere der Stadt ausmacht. Der Weg selbst entsteht beim Gehen.

Und weil das Gehen, also die Bewegung selbst, das Entscheidende ist, bleiben Prinzipien immer spannend. Ihnen zu folgen ist immer ein Abenteuer, weil nie vollkommen klar ist, was einen hinter der nächsten Ecke erwartet oder was der nächste Tag bringen wird.

Das Abenteuer der Entdeckung von neuem Land

Zuletzt soll nicht unerwähnt bleiben, dass es nur mit Hilfe von Prinzipien möglich ist, konstruktiv aus Situationen hervor zu gehen, bei denen gewohnte Methoden nicht mehr funktionieren wollen. Das gilt insbesondere für die Lehren, die aus der Pandemie zu ziehen sind.

Seit fast einem Jahr sind wir alle in einer Situation, in der wir nicht mehr so recht wissen, woran wir uns halten sollen. Woran können wir uns orientieren? Hier sind Prinzipien gefragt. Das Miteinander steht dabei an oberster Stelle.

Gemeinsam finden wir einen Weg. Und wenn wir keinen finden, dann bauen wir eben einen! Miteinander!

Bild und Text: Dr. Michael Vogler, kultur-design.at

Hier ist der Artikel ebenfalls erschienen: http://www.kultur-design.at/index.php/blog/71-wir-finden-immer-einen-weg-oder-die-macht-der-prinzipien